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Klettertour am Hohen Dachstein

Longlines - Steinerweg in der Südwand des Hohen Dachstein, 800hm, 5+, am 23.6.2025 – Indro und Thomas

27.07.2025

Der Montag erschien uns günstig, die 27 Seillängen des 1909 erstbegangenen Steinerwegs „durchzurennen“ und Steinschlag von vorauslaufenden Seilschaften möglichst zu vermeiden. Der Wetterbericht versprach keine starke Sonneneinstrahlung in die Südwand des Hohen Dachstein, warnte uns aber vor Gewittern am späten Nachmittag. Die Kletterzeit ist mit 6-9h angegeben, überwiegend im 4ten Grad und streckenweise alpin abgesichert. Der Zugang führt über ein Schneefeld, dessen Zustand sehr unterschiedlich sein kann, und zeitlich wird ab der Dachsteinsüdwandhütte 1,5h veranschlagt. Der Abstieg überquert den Gipfel des Hohen Dachstein auf 2.995m, nutzt den Randkluftklettersteig, lässt auf dem Dachsteingletscher die Seethalerhütte rechts liegen und erreicht die Dachstein-Südwandbahn, die man bis möglichst 1700Uhr zur letzten Talfahrt erreichen sollte.

Soweit die Fakten am Vortag und wie so häufig bei Longlines weichen Planung und reales Geschehen dann doch irgendwann voneinander ab. Die Dachsteinhütte versorgte uns mit Frühstück und warmen Getränken, so dass wir, wie geplant, um 0400Uhr noch vor Sonnenaufgang von der Hütte aufbrachen. Das Schneefeld unterhalb des Einstiegs stellte sich als eher harmlos heraus. Mist, jetzt müssen wir Steigeisen umsonst die ganze Wand hoch schleppen. Oder doch kein Mist, da weniger Aufwand. Trotz der Zeitersparnis, muss irgendwo wieder Zeit liegen geblieben sein. Eigentlich wollten wir ja um 0600Uhr einsteigen. 

Die ersten Seillängen flutschten ganz gut. Aber nicht vorhandene Zwischenhaken kosten nicht nur Zeit zur mobilen Sicherung sondern auch für die Wegfindung. In der Mitte der Tour, am Ende des 150m langen „Dachl“, hatte sich einiges an Verspätung summiert. Nach kurzer Abstimmung, welche 2:0 für den Weiterstieg ausging, ging es in Richtung „Salzburger Band“ weiter zum ersten echten „Verhauer“. Ein Standplatz sollte nach 50m Querung kommen, aber auch nach ausgestiegenem 60m Seil: nix! Daraufhin mussten wir improvisieren, was Zeit und Nerven kostete. Wann war noch mal die letzte Talfahrt? Der Standplatz kam dann tatsächlich nach 65m. Topos sind halt nicht immer verlässlich. 

Die Route wurde dann steiler und anspruchsvoller, aber dafür besser gesichert und damit auch besser zu finden. Zumindest eine Zeitlang bis zu einem Standplatz von dem aus nun gar keine Haken mehr zu sehen waren und auch das Topo keine tiefere Einsicht erzeugte. Dann aber doch, ein geschlagener Haken etwa 10m rechts auf einem Band. Da soll man dann wohl lang? Es kamen immer mehr Haken und die Seillänge zweigte von dem Band in eine Verschneidung nach oben ab. Oben dann wieder ein Stand wo sogar ein relativ neuer Karabiner auf uns wartete. Das einzige Problem: keine Haken mehr und nur Bruch. Paul Preuß folgend stiegen wir nicht weiter, da weder klar war, was an Sicherungspunkten kommt, noch ob ein späterer Abstieg möglich ist. Jetzt war auch klar, was der Karabiner da sollte! Der Rückzug zu dem vorherigen Stand war mit ziemlichem Aufwand verbunden, und wieder war 1h verloren. Die Seilbahn hatten wir gedanklich bereits ad acta gelegt, das Wetter liess uns aber nicht im Stich. Ein Blick in den Regenradar lieferte Entspannung. Es wird ein langer Tag inklusive Abstieg. Und auch der Weiterweg vom Standplatz „erschien“ plötzlich. Offenbar poppen manche Haken erst später am Tag aus dem Fels heraus.

Laut Topo waren es dann noch 3 Seillängen als das Wetter doch um 1600Uhr kippte. Soll man sich eigentlich freuen, wenn Regen in Graupel übergeht. Man wird ja nicht nass von Graupel. Jetzt war eine Entscheidung gefragt. Der Regenradar zeigte aus der Richtung von Salzburg herkommende Gewitterzellen, die wenig vielversprechend ausschauten und da will man nicht unbedingt zwischen den Armierungen eines Klettersteiges herumturnen. Aber es gab noch ein Fenster von 1,5h und die Entscheidung war, einen neuen Bergsportduathlon zu versuchen: Speedklettern mit anschließendem Klettertsteigjoggen. Um 1700Uhr packten wir die nassen Seile ein und rannten über der Hohen Dachstein zur Seethalerhütte immer den in westlicher Richtung mehr schwarz als dunkelblauen Himmel im Schulterblick. Das Gewitter zog dann zwar nördlich am Dachstein vorbei, aber wir beschlossen, dennoch auf der Hütte zu bleiben.

Die Hütte war aber leer. Wieso das? Gestern, während der Dirndl-Überschreitung, übrigens 3h herrlicher Sonnenschein, waren da doch Gäste zu sehen gewesen? Die Wirtsleute klärten uns auf, es gäbe technische Probleme, so dass keine Übernachtungsgäste genommen würden. 

Wann würde dieser Tag eigentlich enden? Also wenn es nicht geht, gehen wir natürlich runter, aber vielleicht was zu Essen und Tee? Der Hüttenwirt grinst: ne, Ihr bleibt natürlich hier, wie wäre es mit Rösti, Spiegelei und einem frischen Bier. Und das gab es dann auch. Ruckzuck war Adrenalin gegen Hefe ausgetauscht und die Frage nach etwas mehr zu Essen wurde durch ein komplettes 2tes Rösti mit weiteren zwei Spiegeleiern beantwortet. Das ging dann so auch am Morgen weiter. Mit Blick in die wolkenverhangene Dachstein-Südwand und unsere Tour bekamen wir ein Frühstück, welches auch drei Seilschaften versorgt hätte.

Der Hohe Dachstein und der Steinerweg. Herrliche alpine Kletterei und großes Kino. Aber auch Läuterungsberg. Wir hatten uns keine Fehlentscheidung vorzuwerfen, aber Longlines bieten halt naturgemäß viel Spielraum für „Varianten“ und erfordern eine mehr als konservative Zeitplanung. Wenn man dann die Seilbahn verpasst und auf der Seethalerhütte zwischennächtigt – was könnte schöner sein!

Thomas, Aalen, 27.7.2025.