© DAV Sektion Schwaben, Hermann Ritter

Gedenken an die Erstbesteigung des Alpamayo

Am 20. Juni 1957 standen die vier schwäbischen Bergsteiger und Sektionsmitglieder Günter Hauser, Bernhard Huhn, Frieder Knauß und Horst Wiedmann erstmals auf dem Gipfel des Alpamayo in Peru – einem der schönsten Berge der Welt.  Doch wie entstand die Idee zu der sektionseigenen Anden-Kundfahrt und welche Vorbereitungen waren erforderlich?


Eine Idee wird zum Plan

Im Winterhalbjahr 1955 berichtete Heinz Steinmetz aus München bei den monatlichen Lichtbildervorträgen der Sektion im Lindenmuseum in Stuttgart von einer fünfwöchigen Bergfahrt nach Peru in die Cordillera Vilcanota mit zwei Bergkameraden, Jürgen Wellenkamp und Fritz März, dem späteren ersten Vorsitzenden des DAV. Ihnen gelang die Erstbesteigung von einigen Gipfeln im Bereich von 5000 und 6000 m. Die Hin- und Rückreise machten sie mit Auswandererschiffen, denn eine Flugreise wäre viel zu teuer gewesen. Sie hatten wenig Geld, dafür genügend Zeit. Begeistert von diesem Vortrag, zeigte er uns doch, dass man nicht unbedingt mit einer großen Expedition unterwegs sein musste, um erfolgreich hohe Berge zu besteigen.

Im Frühjahr 1956 waren Hauser, Wiedmann und Huhn beim Baueinsatz in Sirchingen um zu helfen, eine Hütte für die Jugend der Sektion zu bauen. Während der Arbeiten sprach Hauser über eine geplante Expedition zum Broad Peak, die nun definitiv nicht stattfinden würde, aber dass schon Geld für diese Expedition vorhanden war. Und ob Wiedmann und Hauser nicht Lust hätten, ähnlich wie von Heinz Steinmetz berichtet, auf eine gemeinsame Bergfahrt nach Peru zu gehen, um dort noch unerstiegene Berge zu erkunden. Beide waren sofort Feuer und Flamme, ahnten dabei allerdings noch nicht wie viel Vorarbeit auf sie zukommen würde.

Beim 1. Vorsitzenden der Sektion Herrn Dr. Eugen Heinz stießen die Pläne auf großes Verständnis und vor allem auch das alpine Gedächtnis der Sektion, Bücherwart Max Hegele war von der Idee begeistert. Dr. Heinz, damals Präsident des Landesarbeitsamts, versprach, seine Verbindungen zur öffentlichen Hand einzusetzen. Als erstes gelang es ihm, den damaligen Kultusminister des Landes Dr. Wilhelm Simpfendörfer als Schirmherrn für das Unternehmen zu gewinnen.

Hauser der schon einige Erfahrungen in der Öffnung von Geldquellen hatte, wollte als erstes einen repräsentativen Briefbogen entwerfen lassen. Der Werbegrafiker Frieder Knauß war damals Mitglied der SAS (Skiabteilung der Sektion) und erklärte sich dazu bereit. Nachdem ihm die Pläne·näher erklärt waren, wollte er spontan an der Kundfahrt teilnehmen. Auch schreckte es Knauß nicht ab, die auf ihn fallenden Kosten selbst zu übernehmen. Damit war plötzlich und unerwartet ein vierter Mann an Bord. Und die vier Andenfahrer sollten es nicht bereuen. Knauß spielte immer wieder die ausgleichende Gerechtigkeit, wenn unterschiedliche Meinung vorhanden waren.

Nun wurden die Aufgaben verteilt. Hauser war als Initiator selbstverständlich der Expeditionsleiter und kümmerte sich um alle organisatorischen Fragen. Zusammen mit Huhn waren die beiden gemeinsam für die gesamte Ausrüstung der Expedition verantwortlich. Es durfte nichts vergessen werden. Ob es in Peru eine Möglichkeit gab, benötigte Ausrüstung zu ergänzen war nicht sicher.


Die Finanzierung der Expedition

Wiedmann übernahm die Aufgabe das Sponsoring zu organisieren; bei Behörden und Industrie für die Anden-Kundfahrt zu werben und dafür finanzielle Unterstützung zu erhalten. Unzählige Briefe wurden geschrieben, adressiert und versandt. Die Unterstützungsbeträge lagen zwischen 10 und 300 DM. Mit der Zeit kam eine erkleckliche Summe zusammen. Dazu kamen die eigenen Ersparnisse der Teilnehmer, Unterstützung durch die Stadt Stuttgart, die TWS (Technische Werke der Stadt Stuttgart), das Regierungspräsidium Nordwürttemberg, dem DAV und unsere Sektion Schwaben u.v.a. Insgesamt 96 Firmen haben die Expedition mit Material ausgerüstet. Die Kosten für die Expedition bis zum Tag der Rückkehr betrugen insgesamt 25.000 DM (ca. 12.800 €). Ein Viertel davon brachten die Teilnehmer aus eigener Tasche auf.

Hauser machte den Vorschlag, einen Film über unsere Kundfahrt zu drehen. Leider hatte aber keiner der Teilnehmer Erfahrung mit der Filmerei. Also war das eine Aufgabe für Knauß, der als Werbegrafiker auch einen Blick für gute Motive haben musste.

Die Teilnehmer kauften eine Filmkamera Bolex 16 mm mit der Überlegung die Kamera am Ende der Expedition möglichst in Peru mit Gewinn verkaufen zu können. (Und das hat dann auch geklappt.) Hauser hatte in Stuttgart einen Filmemacher kennengelernt, der bereit war, das Filmmaterial zu bearbeiten. Das Ergebnis war ein Film in Farbe mit dem Titel „Expedition ins Land der Inkas“. Er zeigt neben den Bergen viel aus dem Land und dem Leben seiner Bewohner.


Die Expedition

Bei der Beschäftigung mit dem Land Peru kamen für die vier Teilnehmer immer mehr Besichtigungswünsche auf, so dass bald festgestellt wurde, dass einige Monate benötigt würden, um das alles zu erleben. Die Zeit „frei zu schaufeln“ war kein Problem, die finanziellen Ausgaben mussten entsprechend im Rahmen des Budgets bleiben. Am 3. April 1957 verließen die vier Teilnehmer Stuttgart und kehrten am 7. Dezember 1957 dorthin zurück. Ein Jahr Vorbereitungen waren abgeschlossen, mit acht Koffern und 650 Kilo Expeditionsgepäck reisten die Vier mit dem Schiff über den Atlantik, durch den Panama-Kanal in den Pazifik und betraten am 2. Mai 1957 peruanischen Boden in Callao/Lima.

Nach einigen Tagen Aufenthalt in Lima begann die Anden-Kundfahrt in der Cordillera Blanca. Hier wurden die fünf Berge Pico Norte de la Pirámide, Nevado de Parrón chico, Nevado de Parrón grande, Pirámide de Garcilaso und Loyacjirca in unterschiedlichen Besetzungen, zum ersten Mal bestiegen. Dann folgte der Alpamayo (5974 m), der am 20. Juni 1957 gegen 11:00 Uhr erreicht wurde.

Ende Juni war die Gruppe wieder zwei Wochen in Lima bevor es Mitte Juli in die Cordillera Vilcanota geht. Auch hier werden die Berge Jatunhuma, Cayangate I, Kakakiru, Mariposa und  Caracol von den Expeditionsteilnehmern, zu denen sich zwischenzeitlich der Sohn des amerikanischen Botschafters in Peru, Ted Achilles, gesellt hatte, erstbestiegen. Am 15. August 1957 wurde mit der Erstbesteigung des Yayamari (6049 m) das Dutzend vollendet.

Huhn, Knauß und Wiedmann traten die Rückreise am 22. Oktober 1957 über Chile und Argentinien an. Sie versuchten sich am Aconcagua (6962 m), dem höchsten Berg Südamerikas. Anschließend Fahrt mit dem Zug durch Argentinien nach Buenos Aires und von dort mit dem Schiff nach Genua. Hauser flog am 27. Oktober 1957 nach Mexico-City, bestieg den Popocatépl (5462 m), reiste mit dem Omnibus über San Francisco nach New York und von dort mit dem Schiff nach Cherbourg. Die gemeinsame Rückkehr der Expedition nach Stuttgart erfolgte am 7. Dezember 1957.

 

Nicht nur Berge wurden erstbestiegen

In Peru wurden völkerkundlichen Studien (nicht zu verwechseln mit Forschungen) durchgeführt und einfache Vermessungsarbeiten, hauptsächlich in der Cordillera Vilcanota vorgenommen. Karten wurden gezeichnet und später an der Technischen Hochschule in Stuttgart ausgewertet.
Hunderte von Schmetterlingen und hunderte andere Insekten wurden gesammelt und präpariert. Diese Tätigkeit wurde von Huhn übernommen. Die Präparate wurden nach der Rückkehr dem Naturkundemuseum in Stuttgart übergeben und dort ausgewertet.

Neben den Bergbesteigungen waren die Teilnehmer mehrere tausend Kilometer auf Lastwagen und Bussen auf Landstraßen und Pisten in Peru unterwegs. Manche Strecken wurden mit dem Flugzeug zurückgelegt. Die Kundfahrt führte in den Süden Perus zum Titicacasee, in die Urwälder der Quellflüsse des Amazonas und zu den alten Inkastädten. Sie waren bei Festen der Bevölkerung und zu Gast bei Auswanderen aus Europa.


Medien in den 50er Jahren

Knauß erstellte während der Expedition vier originelle Skizzentagebücher und etwa 80 Aquarelle. Mit einem von Batterien betriebenen Tonbandgerät des Süddeutschen Rundfunks wurden Musik, Gesänge und Sprache der verschiedenen Volksgruppen im Hochland und im Urwald aufgenommen.

Mit insgesamt sieben Foto-Kameras wurden etwa 10.000 Schwarz-Weiß- und Farbaufnahmen aufgenommen. Alle Schwarz-Weiß-Aufnahmen wurden von Wiedmann während der Expedition entwickelt.

Die Filme der Bolex Kamera wurden aus Sicherheitsgründen zur Entwicklung nach Hause geschickt. Nach der Rückkehr wurden die Szenen geschnitten. Hauser schrieb den Kommentar und sprach ihn auf ein Tonband. Die Musik wurde von einem Fachmann mit dem Kommentar gemischt. Allerdings scheute Hauser die Kosten, den Ton auf eine Randspur des Filmes zu kopieren. Nachdem Filmprojektor und Tonbandgerät nicht synchron liefen, musste der Filmvorführer den Film so gut kennen, dass er die Geschwindigkeit des regulierbaren Projektors dem Ton anpassen konnte. Aktuell ist der Film auf einer DVD gespeichert.

 

Text: Joachim Letsch


Quellen:
Günter Hauser: Ihr Herren Berge, Menschen und Gipfel im Lande der Inka. Engelhornverlag 1959
Wilhelm Schloz: Vortrag „Streiflichter zur Expeditionsgeschichte der DAV Sektion Schwaben“ (mit Folien)
Horst Wiedmann: Redemanuskript in der Veranstaltung zum 60. Jubiläum der Erstbesteigung des Alpamayo im AlpinZentrum der Sektion Schwaben im DAV
Film: Expedition ins Land der Inkas (DVD), ca. 70 Minuten
Persönliche Gespräche mit Bernhard Huhn und Horst Wiedmann